Schallspuren – Rückblicke auf Orange 94.0

15 Jahre Freies Radio in Wien und mehr

Radio ist ein direktes, schnelles aber flüchtiges Medium. Was gesagt oder gespielt wird, ist in einem Moment zu hören und im nächsten verschwunden. ORANGE 94.0 feiert 2013 sein fünfzehnjähriges Bestehen und beginnt seine Geschichte, den Kampf der Radiopirat_innen für einen offenen Zugang im Radio und für freies Radio in Wien zu dokumentieren.

Inhaltlich gibt es sieben thematische Routen, die in Kombination mit spezifischen Aspekten bei jedem Hauptthema zum Nachhören/Nachlesen/Nachsehen durch 15 Jahre Radiogeschichte und mehr einladen.

Die Radiopirat_innen der 1980er und 1990er Jahre als Vorläufer von Freien Radios in Österreich sind ebenso eine Route durch die Spurensuche wie die organisatorischen Prozesse und die Lobbyarbeit der Pressure Group Freies Radio und des Vereins Freies Radio Wien Mitte der 1990er Jahre für den Kampf um eine eigene Frequenz bis zum Sendestart von ORANGE 94.0 am 17. August 1998.

Die Herstellung von Gegenöffentlichkeit, eine der Funktionen von Freien Medien, zeigt sich exemplarisch an verschiedenen politischen und sozialen Bewegungen, an denen ORANGE 94.0 in 15 Sendejahren Anteil genommen hat.

Communities sind die Quelle, aus denen die Inhalte und Protagonist_innen der Sendungen des Freien Radios geschöpft werden. Wir stellen hier verschiedene Gruppen vor, die von und/oder für die „eigene“ Teilöffentlichkeit senden, sei dies in einer der in Wien gesprochenen Sprachen neben Deutsch, sei es eine bestimmte Musikrichtung oder ein spezifisches politisches Anliegen.

Empowerment meint die vielfältigen Kooperationen, die für die Gründung und den Bestand des Freien Radios notwendig sind und waren, die auch gemeinsame Projekte im medienpädagogischen Bereich nach sich gezogen haben und den Beitrag den ORANGE 94.0 durch seine Workshops zur partizipativen Gestaltung der Medienöffentlichkeit und Medienreflexion leistet.

Musik und Wort sind gleichberechtigte wenngleich nicht unbedingt im gleichen Ausmaß vorhandene Elemente des Programms von ORANGE 94.0. Plattform für die lokale/n Szenen und das lokale Musikschaffen, Oral History via Musik oder verschiedene Musikgenres werden hier präsentiert.

Schallspuren reichen über den lokalen Raum hinaus und verknüpfen sich mit nationalen und internationalen Initiativen – vielfältige Projekte und Radioaktionen zeigen diese Facette von ORANGE 94.0 im Thema Vernetzung auf.

2013 – 2020: Die Fortsetzung der Geschichte von Orange 94.0

Mit dem 15-Jahr-Jubiläum endete aber nicht die Geschichte von ORANGE 94.0 – vielmehr hat sich auch seither viel getan und einen kleinen Einblick in das lebendige, bunte, laute und leise Geschehen gibt es auf den Kalenderseiten von 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020 nachzulesen, nachzuhören und nachzusehen.

Jedenfalls: Das Radio lebt!

In Memoriam

Dr. Eva Brunner-Szabo

Radiopiratin und Künstlerin
1961-2012

Eva Brunner-Szabo wurde in Oberwart geboren und studierte in den 1980er Jahren Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Ihre Dissertation verfasste sie 1989 zu „Medien im Widerstand: vom Arbeiter-Radiobund in der 1. Republik bis zu den Freien Radios und Piratensendern heute oder Möglichkeiten eines demokratischen Gebrauchs von Massenmedien“. Sie hatte sich als Studierende selbst in den 1980er Jahren in die Radiopirat_innenszene eingebracht und war dabei nicht nur in Wien bei der Konzeption und Gestaltung von Sendungen aktiv. Sie reiste auch nach Kärnten, wo von einer Alm aus Italien über die Grenze nach Kärnten gesendet wurde und Eva wurde gemeinsam mit anderen für ein paar Stunden von der italienischen Polizei inhaftiert.

Mit der Beendigung ihres Studiums und dem Ende der zweiten Phase der Radiopirat_innen in der Zweiten Republik widmete sich Eva Brunner-Szabo stärker ihrer künstlerischen Arbeit. Seit 1982 arbeitete sie mit dem Medium Fotografie und wurde 1991 Mitarbeiterin der Medienwerkstatt Wien.

Ihr Hauptwerk bestand in ihrem fotografischen Werk mit zahlreichen Ausstellungen und Festivalteilnahmen im In- und Ausland. Ihr Werk bestand im wesentlichen Teilen in der Auseinandersetzung mit dem Thema Kunst und Erinnerung. Gemeinsam mit Gert Tschögl führte Eva Brunner-Szabo seit 2000 unter dem Label memoryPROJECTS Public Art Projekte und Internetprojekte im Bereich zwischen Kunst und Wissenschaft durch.

„Eva Brunner-Szabo arbeitet an einer Archäologie der Bilder, sie verbindet in ihren Arbeiten sehr persönliche Erzählungen und Assoziationen mit found-footage-Bildern der 'Geschichte', die so mit individueller Erfahrung aufgeladen werden“. Birgit Flos, Sonderheft 1/1998 (HG Medienwerkstatt Wien). 

Neben mehren Auszeichnungen erhielt sie im November 2011 den Anerkennungspreis des Landes NÖ für Künstlerische Fotografie. Zuletzt waren Arbeiten von ihr in der Ausstellung FAcES in der Burgenländischen Landesgalerie, sowie die von ihr gestaltete Installation STÄRKE: DIE, WEIBLICH (90 Frauenporträts) im OHO in Oberwart, zu sehen.

Eva Brunner-Szabo starb am 2. März 2012 an einer Krebserkrankung. Ihre Radiomaterialien wurden dem Archivprojekt von Orange 94.0 zur Verfügung gestellt und dieser Nachlass in die Datenbank eingearbeitet.

Eine Werkbiografie findet sich unter http://www.memoryprojects.at/rsa/bios/frame-ebs.htm

Nachruf von Gert Tschögl, ergänzt von Margit Wolfsberger

Fotonachweis: Massimo Pastore

In Memoriam

Dr. Christoph Lindenmaier

Radiopirat, Radiopionier, Mitbegründer von Radio LoRa
29.10.1953 – 29.3.2009

„Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ...wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen“
(Bertolt Brecht)

In tiefer Trauer nehmen wir Abschied von unserem Freund und Mitstreiter

Dr. Christoph Lindenmaier
Radiopirat, Radiopionier, Mitbegründer von Radio LoRa
29.10.1953 – 29.3.2009

Mit immensem technischem und politischem Wissen, mit leidenschaftlichem Engagement und großer Menschlichkeit hat er die freie Radiolandschaft in Europa entscheidend geprägt. Sein treffender Schalk und seine unverstellten Emotionen machten Christoph zu einem liebenswerten Menschen mit Ecken und Kanten. Er wird für uns unersetzlich bleiben.

Verein und Stiftung Radio LoRa, Zürich
Radio Zinzine, Forcalquier
klipp & klang radiokurse, Zürich
UNIKOM – Union nichtkommerzorientierter Lokalradios der Schweiz
VFRÖ – Verband Freier Radios Österreich
CMFE – Community Media Forum Europe
FERL – Fédération Européenne des Radios Libres

Quelle: Traueranzeige in „Der Wochenzeitung“ – Schweiz April 2009

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Christoph Lindenmaier, europäischer Communitymedienpionier (1953-2009)

Wer über Freies Radio in Österreich spricht muss über Christoph Lindenmaier sprechen. In den frühen 90er Jahren war er es, der tatkräftig und mit großem Engagement den Grundstein für jene Piratenaktivitäten legte, die zu den bekannten und unverzichtbaren Sendern ORANGE 94.0, Radio FRO, Freirad und Radiofabrik etc. führten.

Er schulte ein, half Baupläne zu entwickeln und vor allem gab er den meist noch jungen österreichischen Radiodesperados die Sicherheit, dass es sich hier nicht bloß um eine jugendliche Gaudi, sondern um ein höchstpolitisches Anliegen der selbstbestimmten Landnahme handelt. Ein Kampf um Grundrechte, die auf allen Ebenen geführt werden muss: Legistisch, Aktionistisch und Technisch. Und dabei war er mehr als smart!

In dieser Zeit haben ich oft angerufen, bei Radio LORA, in Zürich, bei Christoph: Um Rat, um technische Hilfe, um konzeptuelle Tipps. Denn nur ein paar Jahre vor Österreich ist in der Schweiz das schwierige schon gemeistert worden. Ein legales, ein freies, ein breites selbstbestimmtes Radio aufzubauen.

Schlußendlich war es auch der ruhige Schweizer mit dem oft nachdenklich geschlossenen Augen (wer in kannte kennt auch diesen markanten Tick), der Stück für Stück (möchte fast sagen Frequenz für Frequenz) den Behörden eine Frequenznutzungsregelung abrang: Mit Argumenten, mit Wissen, mit Sicherheit des machbaren Gegenbeweises.

Thomas Thurner
(ungekürzte Fassung auf: http://polymatic.blogspot.co.nz/2009/07/christoph-lindenmaier-europaischer.html)

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Biographischer Artikel zu Christoph Lindenmaier von Daniel de Roulet aus der „Wochenzeitung“ und Nachrufe – Schweiz, Nr. 16/2009, 16. April 2009
(zur Verfügung gestellt von Radiofabrik Salzburg)

WoZ_0916_Christoph_Lindenmaier.pdf

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Fotonachweise: ArsElectronica 2005/rubra